„Ja?“

„Viel zu viel Text im Off!“

„Ja, weil das eben eine Romanverfilmung ist! Gerd, ich halte diesen Film für einen unserer wichtigsten! Und ich schick ihn auch zum ´Prix Italia´.“

„Mach wasd willst! Dort wird der a net besser.“

Ende des Gesprächs.

Im Sommer ein kurzer Anruf aus Calgari, Sardinien: „Du, Gerd, wir haben schon wieder gewonnen!“

„Echt? Den ´Prix´?“

„Ja! Zum drittenmal hintereinander den ´Prix Italia´!“

„Womit denn?“

„Mit dem, wo du gsagt hast, das ist der letzte Schas.“

„Na, bitte! Hab i scho wieder recht ghabt.“

Das, finde ich, ist Größe.

Von einem Generalintendanten.

Wenn er dazu steht, was seine Leute produziert haben. Auch wenn ihm selber alle diese Filme privat gar nicht so sehr gefallen haben.

Aber so war er immer.

Nach der Sendung unseres Slowenenfilms ´Das Dorf an der Grenze´ zum Beispiel tagte der Aufsichtsrat wieder einmal mit allerlei Zeitungsgetrommel im Hintergrund, und auf dem Weg in den Sitzungssaal kam Bacher bei mir im Büro vorbei.

„Was mach i jez? Jez sans alle gegen mi. Die Schwoazn, die Rotn, und die Karntner sowieso.“

„Der Landeshauptmann Wagner hat mich grad am Telefon angschrien, warum ich mir vom Tito unsere Filme bezahlen lass.“

„Ja, der is a net gscheiter als die andern, owa was sag i denen Aufsichtsräten jetz wirkli?“

„Sag, wies is: Das ist einer unserer wichtigsten Filme, und du bist sehr stolz darauf, dass so ein Film in Österreich grad heut möglich is.“

Er brummte gefährlich, ging ruckartig weg, aber etwas später kam er lächelnd wieder bei mir vorbei, und „so“, sagte er, „jetz sans alle begeistert.“

Das, finde ich, ist Größe.

Von einem Generalintendanten.

Wenn er dazu steht, was seine Leute produziert haben. Auch wenn ihm selber alle diese Filme privat gar nicht so sehr gefallen haben.

 

Ganz ähnlich hat er sich verhalten bei unserer Krise beim Schubert-Film ´Mit meinen heißen Tränen´.

Nach den ersten Drehtagen kam der Produzent zu mir ins Büro und verlangte die Ablösung des Regisseurs Fritz Lehner. Der habe jetzt schon das Produktionsbudget maßlos überzogen. Er drehe jede Szene viel zu oft. Kurz, ich blieb an dem Tag das einzige Mal in meinen 25 ORF-Jahren die ganze Nacht im Büro, denn nach dem Dreh kamen auch noch Fritz Lehner und sein Produktionsleiter Reitmeier. Der bestätigte, die Ehefrau des Produzenten, die damals gerade auch Abgeordnete gewesen ist, habe auch bei ihm die ultimative Ablöse des Regisseurs verlangt. Ich versuchte allen zu erklären, dass wir ein Dutzend Anstalten in ganz Europa als Coproduzenten haben, und dass die nicht wegen der Frau des Produzenten dabei sind, sondern wegen des Regisseurs Fritz Lehner. Wir werden ihn  sicher nicht auswechseln.

Wir diskutierten bis zum Aufgang der Sonne Möglichkeiten der Verbesserung der Zusammenarbeit, aus der Kantine wurde der erste  Morgenkaffee geholt, aber um 7 Uhr bekam Fritz Lehner vom vielen Reden eine echte Maulsperre, aber durch eine kräftige Ohrfeige

- Reitmeier hatte die Erlaubnis mit einem schnellen Flüstern bei mir eingeholt -, war der Kiefer wieder eingerenkt, und wir konnten weiterverhandeln.

 

Und die Maulsperre brachte die Wendung. Um 8 Uhr gingen Regisseur, Produktionsleiter und Produzent zusammen zum Drehort, und ich konnte hoffen, die Drei würden es noch einmal miteinander versuchen.

Um halb neun rief Gerd Bacher an. Erstens war er sehr zufrieden, dass ich schon so früh im Büro war, zweitens aber doch irritiert, dass Dr. Schuppich, der Präsident der Rechtsanwaltskammer bei ihm gerade ultimativ die Absetzung des Schubertfilm-Regisseurs verlange.

Ich eilte vom vierten in den sechsten Stock und hörte mir gemeinsam mit meinem Generalintendanten die Philippika des Präsidenten an. Bacher winkte mir, ich möge vor die Tür kommen, und im Vorzimmer fragte er mich, ob ich mir das denn tatsächlich zutrauen würde, den Streit ´Produzent gegen Regisseur´ durchzustehen, immerhin gehe es dabei doch um achtzig Millionen Schilling.

Ich nickte.

Bacher zögerte kurz, aber dann nickte auch er, und  zusammen gingen wir wieder in sein Büro zum Präsidenten, und der Generalintendant sagte fröhlich schon an der Tür: „Du kannst hamgehn, Schuppich, mir ham des alles fest in der Hand.“

Der Präsident war erstaunt, aber er ging, und bei der dann schließlich sehr erfolgreichen Premiere sagte mein Generalintendant wieder einmal: „Sigst, hamma scho wieda recht ghabt.“

Das, finde ich, ist Größe.

Von einem Generalintendanten.

Wenn er dazu steht, was seine Leute machen. Auch wenn es dabei um 80 Millionen geht, und auch wenn ihm selber unsere Schubert-Trilogie dann eigentlich nicht gefallen hat.

Aber so war er eben immer.

 

Schon bei der ´Alpensaga´. Am 2. Oktober 1973 schrieb er mir eine INTERNE MITTEILUNG, die er auch an Zilk und Mauthe schickte, um meinen Vorschlag ´Alpensaga´ gleich mit dem ersten Schlag umzubringen: „ Diese Serie ist primitiver Klassenkampf auf Blut-und-Boden-Niveau ... Sozialganghofer … Wer Bewußtseinserweiterung in diesem Bereich anstrebt, müßte sich schon des heutigen Klassenkampfes annehmen. Diese  Alpensaga ist Sozialistischer Realismus à la DDR und UdSSR.“

Wenn ich das heute lese, wird mir immer noch seltsam. Damals aber organisierte ich sofort eine Lesung des Drehbuches von Peter Turrini

in der Wohnung des Redakteurs Wolfgang Ainberger, und was geschah? Bacher kam, sagte während der zwei Stunden kein Wort, winkte mich in der danach entstehenden, peinlichen Pause vor die Tür, und da sah ich verblüfft, dass ihm Tränen über die Wangen liefen.

„Mir woan a oame Lait, und da Vota is in die Salzach.“

Das finde ich, ist Größe.

Der ´Sozialistische Realismus à la DDR´ wurde von ihm nie mehr erwähnt, und ich konnte an der ´Alpensaga´ weiterarbeiten … Ja, ich habe auch damals schon für möglich gehalten, dass Bacher mit der Tolerierung der ´Alpensaga´ dem Kreiskyflügel der Sozialistischen Partei entgegenkommen hat wollen, aber wenn er auch mit diesem Vorsatz zur Lesung gekommen ist, weggegangen ist er mit der Überzeugung, dass diese Serie auch mit seinem ganz persönlichen Herkommen einiges zu tun hat.

 

Einmal, glaube ich, hab ich ihm dann wirklich imponiert. Zur Vorbereitung des Besuches von Papst Johannes Paul in Wien im September 1983 wurde ich als Vertreter des ORF zur Bischofskonferenz nach Graz geschickt, und als dort jemand gesucht wurde, der eine Rede zur Kultur vorbereiten sollte, wurde ich vom damaligen Grazer Bischof Weber darum  gebeten, und da ich wußte, Johannes Paul war in seiner Jugend Schauspieler gewesen, ja, er hatte sogar selber Stücke geschrieben, die ich auch interessant fand, schrieb ich einen Text, der sich auf ´Hamlet´ bezog, auf die Forderung an die Schauspieler, nicht nur das Gute, sondern auch das Böse auf die Bühne zu bringen. Und was geschah? Ich bekam aus dem Vatikan ein violett gestempeltes, lateinisches Ok, und Johannes Paul hielt meine Rede in der Hofburg vor Hunderten von Wiener Intellektuellen ohne auch nur ein einziges Wort zu ändern. Die Zuhörer waren nicht nur alle merkbar beeindruckt, dass der Papst so gut Deutsch konnte, sondern vor allem, dass er so ´fortschrittlich´ geredet hatte, und da kam mein Generalintendant höchstpersönlich und freudestrahlend auf mich zu - weil er gehört hatte, die Rede ist von mir - und sagte tief befriedigt: „Jetzt weiß ich, wo du das her hast, das immer was Grausliches in deinen Filmen vorkommen muss, vom Shakespeare, oder?“

 

Seitdem war es einfacher für mich, mit ihm auszukommen. Und da er ja vom Molden-Verlag gekommen war und mit dem Salzburger Residenz-Verleger Schaffler befreundet gewesen ist, fanden wir sogar zu einer punktuellen Zusammenarbeit. Nicht nur Handke betreffend. Er hat mir zum Beispiel auch den Autor Georg Stefan Troller geschickt, mit dem wir dann einen Hitler-Film, einen Freud-Film und die Emigranten-Serie ´Wohin und zurück´ gedreht haben, und endlich einmal gefiel auch Gerd Bacher einer unserer Filme, nämlich ´Welcome in Vienna´.
Ich glaube allerdings, er gefiel ihm vor allem wegen der Hauptdarstellerin Claudia Messner, die das ´I want remember this´ in unserem Film unvergesslich intensiv gesungen hat.

 

Die unvergesslichste Nacht habe ich mit Gerd Bacher allerdings nicht auf dem Küniglberg, sondern in einem Gartenlokal auf Capri verbracht. Uns war am Nachmittag nach der Vorführung auf der Promenade der Generaldirektor der BBC begegnet, der mich mit großer Höflichkeit gegrüßt hatte, weil er unseren Film ´Das Dorf an der Grenze´ eben im Wettbewerb gesehen hatte, also war Gerd Bacher in Hochstimmung. Anerkennung von der BBC, das war seine ewige Sehnsucht, kurz, er wollte unbedingt, dass ich am Abend mit ihm essen geh.

Aber auch Stipe Dalma und Frau Bacher kamen zu diesem Abendessen. Und ich bemerkte schnell, die Spannung zwischen den Dreien wuchs ständig, bis ich am frühen Morgen erfuhr, dass mein Generalintendant in dieser Nacht seine Frau zum ersten Mal wiedersah, seit sie mit seinem besten Freund Stipe nach Rom verschwunden war.

Wir waren alle vier in einer seltsam diffusen Situation, und es  bedurfte noch unzähliger Lorbeerschnäpse bis ich bei Sonnenaufgang endlich zu sagen wagte: „Bitte, ich frag jetzt nicht als ORF-Angestellter, sondern als der interessierte Autor des Romans ´Der Thaya´ - Bacher war ein erklärter Fan meines Romans - warum ist das denn wirklich bei euch so gekommen, wie es gekommen ist?“

Da geschah das kleine Wunder. Die damalige Frau Bacher sagte plötzlich lächelnd: „Du, Gerd, du hast doch nie Zeit für mich gehabt, aber der Stipe zeigt mir in Rom jeden Tag a neue, wunderbare Kirchn.“

„Ahso. Aha. Naja dann“, sagte mein Generalintendant.

Und das, finde ich, hat auch Größe.

Es wird keinen mehr geben wie ihn.