TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2054

Marlowe und die Geliebte von Lope de Vega

Eine gute Novelle erfreut nicht nur die Leserschaft, sondern kann auch für den Autor ein Eigengeschenk sein, das sein schreibendes Leben belohnt.

Gerald Szyszkowitz hat einst Anglistik und Shakespeare-istik studiert und leidet seither daran, dass man seine These nicht entsprechend würdigt, wonach die Shakespeare-Stücke von Marlowe stammen. In der Novelle Marlowe und die Geliebte von Lope de Vega packt er alle literarischen Begebenheiten, die rund um Marlowe zwischen den Jahren 1564 und 1655 eruierbar sind, zuerst in eine Chronik und anschließend in eine Novelle.

Und die Novelle geht der Autor tollkühn an, indem er sich selbst als Rahmenerzähler installiert und in die Vergangenheit fliegen lässt. So kommt es zum glaubwürdig vermittelten Zeit-Flash, indem der Erzähler zuerst über die Alpen fliegt und dabei Südtirol überwindet, wo die Geliebte des Lope de Vega einst gelebt hat. Später sucht das forschende Ich die Wirkungsstätten Marlowes in Madrid, Neapel und Venedig auf, ehe die Geschichte wieder am Brenner endet. Hier findet sich

in der Phantasie des Autors das letzte Glück Marlowes ein, das in Bozen vollendet wird.

Immer wieder bringt sich der Erzähler ein, indem er sagt, dass 400 Jahre zwischen Erzähltem und Erschautem liegen, dass eine Begebenheit so gewesen sein könnte, oder dass sich aus der Quellenlage ein gewisses Gespräch rekonstruieren lässt.

Als Leser lässt man sich von der Begeisterung des Erzählers anstecken und glaubt ihm alles. Marlowe ist nicht 1593 in London ermordet worden, sondern untergetaucht und hat als Spion quer durch Europa gespechtelt und gedichtet. Die fertigen Stücke sind dann nach England geschleust worden und dort als Werk von Shakespeare aufgetreten. Wer ein so wildes Leben führt, dem glaubt man auf der Bühne alles, heißt so eine These.

Marlowe trifft den Vielschreiber Lope de Vega und spannt ihm die Freundin Micaela aus. Da beide Künstler stottern, empfindet es die Angebetete als umso herzergreifender, wenn ganze Sätze an ihre Seele herandräuen. Aber auch der Vizekönig der Bermudas mischt in der Liebe mit, er ist verzweifelt, dass seine Gedichte keine Wirkung haben und bestellt bei Marlowe wirkungsvolle

Gefühlsausbrüche.

Am Schluss jedenfalls greift der Autor noch einmal heftig ein und bittet den Leser, das alles als Novelle und Novellen-Wahrheit zu nehmen. Das Liebespaar kriegt ein finales Date am Brenner und ein glückliches Leben in Bozen, wo sie alle happy bleiben, wenn sie nicht gestorben sind. Gerald Szyszkowitz lässt seinem Wissen und seiner dramaturgischen Erfahrung freien Lauf, er biegt sich die Novellenform so zurecht, dass die literarischen Begebenheiten jener Zeit glaubwürdig Platz haben. Er stellt eine Parallele her zwischen dem Novellenmachen heutzutage und dem Stückeschreiben damals. In beiden Fällen muss man getarnt vorgehen, Marlowe ist als Spion unterwegs, der Erzähler als Geheimgelehrter, und beiden gelingt so nebenher ein Kunstwerk.

 

Gerald Szyszkowitz: Marlowe und die Geliebte von Lope de Vega. Novelle.

Krems: Edition Roesner 2016. 165 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-903059-11-5.

Gerald

Szyszkowitz, geb. 1938 in Graz, lebt in Maria Enzersdorf. Helmuth Schönauer 14/08/17