Das falsche Gesicht

Wirklich gigantische Dichtung ist so groß, dass eigene Fakultäten gegründet werden müssen, um auch nach Jahrhunderten noch sie zu erforschen und ihr Geheimnis zu enträtseln. Shakespeare ist in diesem Lichte nicht nur als Autor sondern als Weltanschauung zu sehen. Sogenannte Fachleute streiten wie wild, wenn es um die Identität Shakespeares geht, dabei geht es um viel Geld, denn der Wallfahrts-Tourismus verträgt nur einen Helden. Es geht auch um viel Reputation, denn wenn eine Uni einmal auf das falsche Pferd gesetzt hat, ist es aus mit Sponsorengeldern.

Den Zirkus rund um Shakespeare hat vor Jahren der Innsbrucker Autor Walter Klier in seiner Analyse „Das Shakespeare-Komplott“ gnadenlos aufgezeigt.

Gerald Szyskowitz geht die Shakespeare-Sache pragmatisch an. In seinem Roman „Das falsche Gesicht“ reist ein Ich-Erzähler nach London, Stratford und an andere Kult-Orte des Theaters, um in seinem Kopf eine brauchbare Shakespeare-Biographie unterzubringen. Der Held hat seinerzeit eine gültige Shakespeare-Lehre absolviert und will das jetzt in einer ruhigen Phase zu einer glaubwürdigen Geschichte verformen, zumal er als Intendant eines kleinen edlen Festivals immer wieder auf Shakespeare und seine Figuren gestoßen wird.

In drei Bühnen-bodenständigen Akten wird das Zusammenspiel zwischen Christopher Marlowe und William Shakespeare als Polit-Thriller inszeniert. Christopher Marlowe verfängt sich mit seinen Stücken im Machtnetz im London unter Elisabeth I. Um zu überleben, muss er fliehen, damit seine Stücke überleben, muss er ihnen ein „falsches Gesicht“ darüberstülpen. So entsteht Shakespeare als Label, unter dem sich Stoff, Inszenierung und Dramaturgie fallweise verkriechen. Während das Theaterunternehmen unter einem Geniebegriff zunehmend Personenschutz genießt, machen sich die Stücke mit dem falschen Gesicht selbständig. Nicht nur die Mächtigen als Zeitgenossen sind mit diesem Genie höchst zufrieden, auch die späteren Epochen zelebrieren wie wild die Einzelperson Shakespeare, von der man mit der Zeit fast nichts mehr weiß.

Der Romanheld recherchiert im Theatermilieu und vergleicht die dramatischen Stimmungen, die beim Theatermachen in der Vergangenheit erzählt werden, mit seinen gegenwärtigen, immerhin ist er ja Intendant, der sich von Saison zu Saison seinen persönliche Shakespeare mit falschem Gesicht machen muss.

Gerald Szyskowitzs Roman ist eine spannende Verfolgungsjagd aus einer Zeit, als Shakespeare noch Marlowe gewesen ist. Gleichzeitig lässt sich der Roman als Figuren-Datei der Shakespeare-Stücke lesen, und schließlich kommt der Theatermacher aus der Gegenwart zu seiner Würdigung, indem er seine Stücke und Inszenierungen mit dem gleichen Aufwand in die Welt setzen muss wie einst die Giganten im Elisabethinischen Zeitalter. Gutes Theater nämlich ist immer eine Anstrengung, egal ob in Stratford oder in Maria Enzersdorf.

 

Gerald Szyszkowitz: Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare. Roman. Mit einem Nachwort von Erich Schirhuber.

Krems: Edition Roesner 2015. 174 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-903059-01-6.

Gerald Szyszkowitz, geb. 1938 in Graz, lebt in Maria Enzersdorf.

Helmuth Schönauer 02/10/15