REIGEN Hoheslied Schnitzlers auf die Promiskuität

 

Betteln nach einer Liebe, von der niemand eine Ahnung hat

 

Zur unanständig schönen und dem Ohr noch lange nach der Vorstellung innehaftenden Melodie von Oscar Straus entwickeln sich

zehn Dialoge, für die Arthur Schnitzler 1920 noch geprügelt wurde. Was die Menschen seinerzeit so aufgeregt haben mag, dass man bis heute von einem der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts spricht? Es geht im Grunde um  nicht viel mehr als nach wortwitzigem Geplänkel möglichst bald miteinander im Bett zu landen. Die einzelnen Episoden sind kurz und genau betrachtet ganz alltäglich. Frauen und Männer, die noch halbwegs mit Libido ausgestattet sind, treffen einander und wollen Sex. So einfach ist die ewige Wahrheit unseres Fortbestandes. Wer nur ein bisschen ehrlich ist, wird zugeben müssen, dass er sich selbst zumindest in einer der Szenen wiederfindet. „Reigen“ nannte Schnitzler das Stück und meint damit nichts anderes als das Liebeskarussell, auf dem wir uns alle mitdrehen, so uns nicht Impotenz oder Frigidität davon

abhalten. Auf geht´s mit einer Hure, der warmherzigen Bordsteinschwalbe, die es dem Soldaten auch ohne Geld besorgen würde.

Nachdem es ordentlich rund gegangen ist, endet es auch mit ihr, wenn sie einem in die  Jahre gekommenen Grafen über seine philosophischen Skrupel hinweghelfen möchte. Moral? Was soll diese Frage in einem solchem Zusammenhang!? Gesellschaftliche Schranken, eheliche Treue oder altersmäßige Unterschiede spielen keine Rolle, solange es ihr und ihm gefällt. Wie gut, dass das von Schnitzler über den „Reigen“ verhängte Aufführungsverbot 1982 abgelaufen ist und wir Nachgeborenen

die Möglichkeit haben, einen sinnlichen Blick auf das Treiben in den Liebeslauben des Fin de Siècle mitzuerleben.

Die Freie Bühne Wieden hat sich mutig über das ehemalige Skandalstück hergemacht. Regie führt Gerald Szyszkowitz, der mit fast

leerer Bühne (sein Markenzeichen) und reduzierter Erotik jeder Schmuddeligkeit,

die derlei Geschehen allzu oft immanent ist, vorbeugt. Die Besetzung sprengt beinahe das Fassungsvermögen des kleinen Theaters. Die gerade nicht auf der Bühne befindlichen Schauspieler werden jedoch zum „Umbau“ zwischen den Szenen als Bühnenarbeiter eingesetzt.

Also hat man das Vergnügen, auch die ganz am Anfang auftretenden

Schauspieler wieder zu sehen, wenn sie eine Chaiselongue als einzige Ausstattung immer wieder so drehen, damit dahinter oder unter diversen Decken das Unaussprechliche ohne geile Aufdringlichkeit passieren kann.

Dana Proetsch wird als Dirne zur reizenden Moderatorin, die Szene für Szene Schnitzlers Regieanweisungen erzählt und dabei einen rührenden Striptease andeutet, bis sie in knielangen Unterhosen und Hemdchen neben dem im Anzug sehr würdig gewandeten Grafen (Gerhard Dorfer) nach einer durchsoffenen Nacht aufwacht. Dem Soldat gibt Rudi Larsen brutale Kälte, die einer Frage „Hast mich auch lieb?“ mit Unverständnis gegenübersteht. Seinem reschen Charme erliegt auch das Stubenmädchen (Elis Veit). Die aber tröstet sich kehr um die Hand mit dem in diesen Dingen noch unerfahrenen, aber sehr anlassigen jungen

Herrn (Pierre Gold). Statt ihm eine Lehrstunde in Erotik zu geben, zeigt sich Christina Jägersberger in der Rolle der verheirateten Frau eher zickig, was sie aber nicht davon abhält, mit dem Adoleszenten einen Beischlaf zu versuchen.

Herrlich wie der sein mangelndes Stehvermögen mit G´schichterln zu begründen versucht und ständig von Liebe spricht, von der

er ebenso wenig eine Ahnung hat wie der um seine ehelichen Pflichten herumschwafelnde Ehegreis (Wilhelm Seledec) oder das wahrlich süße Mädel (Stefanie Gmachl). Profis sind diesbezüglich Dichter (Gerhard Rühmkorf) und Schauspielerin (Michaela Ehrenstein), die beide die Schmähs des oder der anderen besten kennen und zum Begehr um so was wie Liebe nur milde lächeln.