MARLOWES ROMEO UND JULIA AUF KRETA und eine Art Happy End

 

Gerechtigkeit für Marlowe! Marlowe! Marlowe!

 

Gerald Szyszkowitz vertritt mit Vehemenz die Theorie, die besagt, dass die Dramen, die nach wie vor William Shakespeare zugeschrieben werden, von Christopher Marlowe stammen. Dazu hat er bereits etliche Bücher verfasst, in denen er zum Teil mit Hinweisen auf seine Forschungsergebnisse und zum anderen Teil mit romanhaften Geschichten seine Meinung untermauert. Seine jüngste diesbezügliche Erkenntnis baut auf einer Liebesgeschichte auf, die Marlowe auf der Insel Kreta selbst erlebt haben soll. Sie sei die Inspiration für Romeo und Julia gewesen. Da die kretische Julia, Tochter eines venezianischen Gouverneurs, nach gelungener Flucht bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben sei, muss auch die Julia im Drama sterben. So also, meint Gerald Szyszkowitz, sei die größte Liebestragödie abendländischer Dichtung entstanden. Man kann ihm glauben oder nicht, aber ein solcher Zugang könnte durchaus reizvoll sein. Erstens wirft er alles über den Haufen, was Generationen von Theatergehern bis jetzt als wenig ernsthaft diskutierte Tatsache angenommen haben.

 

 

Zweitens hätte man den historischen Hintergrund der Personen, die auf der Bühne in Padua und Verona die beiden jungen Leute ins tödliche Verderben treiben. Julia ist auch hier ein blutjunges Mädchen, der Romeo allerdings ein des Lebens erfahrener Mann, der natürlich überleben muss, sonst hätte er ja die anderen Stücke nicht mehr schreiben können. Wir könnten weder in „Was ihr wollt“ lachen, noch mit „König Lear“ über sein Unglück weinen. 

 

 

Szyszkowitz setzt sein Stück als Probe an. Damit darf auch die Bühne vollkommen bar jeder Dekoration bleiben. Der Regisseur (Herbert Eigner) gibt mutig zu, den alten Text, gemeint ist der originale, neu geschrieben zu haben, um die Menschen von heute zu erreichen. Was aus diesem gutgemeinten Versuch geworden ist, darüber muss jeder im Publikum persönlich sein Urteil abgeben. Als Hauptdarstellerin steht dem Chef eine wirklich reizende Schauspielerin zur Verfügung. Christina Jägersberger hat den Charme und das Aussehen, das sie für jede Bühne als Julia empfehlen würde. Was ihr als Liebhaber vorgesetzt wird, ist jedoch ein glatte Fehlbesetzung. Pierre Gold ist ein netter Bursch, den man schon in verschiedensten passenden Rollen bewundert hat. Als Romeo besteht seine schwerste Aufgabe darin, überzeugend diese Fehlbesetzung zu rechtfertigen. Warum es der Regisseur sich und ihm so schwer macht, wird nicht verraten. Überraschender Fakt ist aber, dass sich die quirlige Julia nicht nur in den schwerfälligen Giacomo Coderino, sondern auch in dessen Darsteller verliebt.

Aus Mercutio wird eine als Mann verkleidete Jüdin (Dana Proetsch) und Benvolio zum Schiffsjungen (Stephanie Gmachl). Der Grund dafür, so heißt es, wäre wachsender Antisemitismus in der Gesellschaft. Als Beweis wird ein Gemeinderat von Maria Enzersdorf angeführt, der gesagt hätte, dass der Reigen nicht aufgeführt werden solle, weil Arthur Schnitzer ein Jude gewesen sei. Eine derart trottelhafte Bemerkung eines offenbar verwirrten Alten, der sicher nie ins Theater geht, ist jedoch ein zweifelhaftes Argument. Wollte man keine Stücke von Juden mehr spielen, müsste man die Häuser allesamt zusperren. Auf der gegnerischen Seite stehen der Vater Governatore Cicogna (Gerhard Rühmkorf), Wilhelm Seledec als mieselsüchtiger Claudio Cicogna (Onkel) und Rudi Larsen als Tybalt Cicogna (Cousin von Julia). Larsen ist nicht zu beneiden. Ihm wurden alle sattsam bekannten Klischees gegen schwarze und dunkelhäutige Einwanderer übertragen, um diese möglichst zornig und rassistisch von sich zu geben. Michaela Ehrenstein ist die gute Amme Maria Anna Trifaldi, die noch vor ihrem Milchkind dessen späteren Ehemann vernascht. 

Wirklich aus dem Herzen spricht einem der verhinderte Bräutigam Conte Paris Avogadro (Felix Kurmayer), wenn er sich beim Regisseur beschwert, warum das Ensemble durch ewig wiedergekäute Probleme davon abgehalten würde, die Leute zu unterhalten. Das scheint aber auch trotz aller hier geäußerter Bedenken gelungen zu sein. Autor Gerald Szyszkowitz war in der Pause damit ausgelastet, seine Bücher zu signieren, und durfte sich mit den tapferen Darstellern einen anständigen Applaus abholen.

 

Stellungnahme Gerald Szyszkowitz

 

Lieber Johannes Gans,

ich hätte gestern gern noch mit ihnen gesprochen. Ich hab gesehen, wann immer Sie sich etwas aufgeschrieben haben, und gleich dachte ich mir, darüber möcht ich reden mit ihm. Aber wie Sie selber schreiben, es war immer viel zu tun.

Das ist für mich nämlich sehr interessant, dass Sie meinen, Sie als Zuschauer sehen den Romeo anders. Nach Meinung des Autors ist Pierre Gold keineswegs eine Fehlbesetzung. Im Gegenteil, der Autor hat sich genau diesen Schauspieler ausgesucht, weil der so ist, wie er ist. Für ihn wurde das Stück so geschrieben, wie es ist.

Ja, ich hab ihn mir schon ganz am Anfang der ganzen Schreiberei so vorgestellt. Nicht erst bei der Inszenierungsarbeit. Ich wollte nicht das übliche Klischee des ´Südlichen Feschaks Romeo´ bedienen, sondern gerade mit Pierre eine Annäherung an die reale Figur Marlowe versuchen. Das ist ja der Sinn der Übung. Marlowe war klein, dick und blond. Seine Bühnen-Partnerin stellt ihn sich anfangs zwar genau so vor wie Sie, aber so einen kriegt sie eben nicht. Deswegen gibt es ja auch wahrscheinlich kein Happy Ende zwischen den drei Hauptfiguren. Einen ´jugendlichen

Liebhaber´ hätte ich mit Robert Ritter besetzt. Unserem ´Italian Lover´ vom Dienst. Aber der Dichter Marlowe war kein ´südlicher Liebhaber´. Er hatte einen Klumpfuß und hat gestottert. Das meint Pierre Gold, wenn er von sich sagt, er sei eigentlich ´ein Trampeltier´, und unglaublich schüchtern. Das würde ein ´Italienischer Feschak´ wie

Robert Ritter nie glaubwürdig von sich sagen. Wie gesagt, ich finde Ihren Eindruck aber trotzdem natürlich sehr interessant. ´Der Chef´ hätte die Absicht des Autors von Anfang an wahrscheinlich noch klarer artikulieren

sollen. Ich rede mit dem Darsteller des Chefs heute vor der Vorstellung. Vielleicht bauen wir da noch einen Satz mit einer Klarstellung ein.

Seite 5,

Julia sagt: Verehrtester, ich kann diese Rolle nicht spielen. Es handelt sich doch um eine Liebesgeschichte. Und in diesen Mostschädel soll ich mich verlieben? Ich hab dich um einen Partner gebeten, der groß, schlank und dunkel sein soll! Und wie ist der? Klein, dick und blond.

Chef: Meine Liebe, ich wollte dir ganz bewusst nicht einen ´Südlichen Feschak´, einen Klischee-Romeo gegenüberstellen. Wir wollen doch zeigen, wie es dem wirklichen Marlowe auf Kreta ergangen ist. Der wirkliche Marlowe war kein Weiberheld. Der hatte sogar einen Klumpfuß und hat gestottert. Und er war wie unserer klein,

dick und blond. Dass du dich in ihn verliebst, liegt an seiner Ehrlichkeit. Und daran, dass er ...

Julia: Gut, gut, aber außerdem behandelt er mich dermaßen lieblos ...

Einverstanden? Herzlichst

Ihr

Gerald Szyszkowitz