Marlowe und die Geliebte von Lope de Vega

Ein Literaturskandal?

Abenteuerliche Stationen eines inoffiziellen Dichterlebens: Madrid, Neapel, Bermuda, Bozen und Venedig

Wer ist denn dieser Christopher Marlowe wirklich gewesen? Spärliche Quellen sprechen von einem englischen Dichter, der 1564 auf die Welt kam und 1593 angeblich bei einem Liebeshandel von seinem Nebenbuhler erstochen wurde. Er soll auch einige Stücke geschrieben haben, die zu ihrer Zeit großen Anklang fanden, und er soll in der englischen Politik aktiv tätig gewesen sein.

Für Gerald Szyszkowitz fanden sich in den zeitgenössischen Berichten zu viele Ungereimtheiten. Also ist ihnen akribisch nachgegangen. Das Ergebnis seiner Nachforschungen war die Überzeugung, dass Christopher Marlowe der eigentliche Schreiber der meisten Theaterstücke ist, die an sich einem gewissen William Shakespeare zugeschrieben werden. Szyszkowitz hat dazu bereits mehrere Bücher verfasst, in denen seine Annahmen bis ins Detail bewiesen erscheinen. Es mag verwundern, dass ob solcher Behauptungen bisher der große Literaturskandal ausgeblieben ist. Marlowe wurde gar nicht ermordet. Er konnte fliehen und wurde vom Secret Service Ihrer

Majestät Elisabeth I. als Spion eingesetzt. Neben seiner Tätigkeit als Agent der Krone blieb ihm jedoch genügend Zeit, für seinen Freund Shakspere, so hieß der Prinzipal im Globe Theatre tatsächlich, den „Hamlet“, „Der Kaufmann von Venedig“ und etliche andere der bedeutendsten Theaterstücke der Weltliteratur zu verfassen.

„Marlowe und die Geliebte von Lope de Vega“ setzt mit dem Aufenthalt des Spions in Madrid ein. Unter dem Decknamen Antonio de Loredo lernt er Miguel Cervantes kennen und soll für einen Londoner Verleger dessen Roman Don Quijote übersetzen. Beschattet wird er von Marita, die sich ihm gegenüber als Kellnerin ausgibt und mit ihm vergnügte Nächte verbringt, also ganz nach dem bewährten Muster eines Agententhrillers. Die Liebe schlägt

jedoch ein, als er die Schauspielerin Micaela trifft, die Geliebte des genialen Vielschreibers Lope de Vega. Gerade zu dieser Zeit wird Graf von Lemos, an sich unheilbarer Verspieler seines Vermögens, zum Vizekönig von Neapel ernannt. Marlowe geht mit diesem nach Italien, nicht ohne Micaela mitzunehmen, wird von dort von England aus zu einer Fahrt auf die Bermudas kommandiert, kehrt jedoch zurück und heiratet Micaela in einer kleinen Kirche bei Bozen.

Der Stoff ist also ganz neu, noch nie dagewesen, und lässt dennoch Blicke auf den Inhalt etlicher Shakespeare-Stücke zu, wie zum Beispiel bei einem Orkan auf hoher See, der Marlowe zu seinem „Der Sturm“ inspiriert.

Gerald Szyszkowitz ist Autor des gleichnamigen Romans und der, wie er es bezeichnet, Komödie, die er nun für die Freie Bühne Wieden inszeniert hat. Er verzichtet dabei auf jegliche Kulissen und braucht kaum Requisiten, darf aber getrost auf die Kunst von Babsi Langbein setzen, die für die großartigen Kostüme gesorgt hat. Für die musikalische Untermalung ist der Geiger Béla Fischer zuständig. Den Rest erledigt souverän das Ensemble: Alfons Noventa als Graf Lermos, dessen Gattin Maria Christina ist Eva-Christina Binder. Gekonnt stottert Felix Kurmayer in der Rolle des Miguel Cervantes, während Gerhard Rühmkorf den alternden Lope de Vega verwirklicht. Eine in ihrer Freizügigkeit natürliche Marita Morales ist Christina Jäger und Wilhelm Seledec ein würdiger Sir Henry Wotton, seines Zeichens englischer Botschafter. Die beiden Hauptfiguren spielen Johannes Terne, der den ebenfalls stotternden Marlowe zur männlichen Venusfalle werden lässt, in der sich alle beteiligten Frauen verfangen, und Michaela Ehrenstein, die als Micaela offenbar weiß wovon sie spricht, wenn sie sich über die leichte

Entzündbarkeit einer Schauspielerin für die Liebe, aber genauso über die Treue einer solchen Frau in breit angelegten Dialogen mit wechselndem männlichen Gegenüber ihre Gedanken machen darf.

 

KOMTESSE MIZZI & LITERATUR

Schnitzler intensiv

Von verschwiegenen Verhältnissen und schreibenden Frauen

Arthur Schnitzler führt uns in seinen Stücken und Novellen zurück in eine längst vergangene Zeit, in der es noch Barone, Grafen und Fürsten gegeben hat. Titel, die uns heute an die Gestalten eines Märchens oder bestenfalls an Geschichten der Regenbogenpresse erinnern, waren zur Zeit der Entstehung des Stücks „Komtesse Mizzi oder Der Familientag“ in Wien durchaus gesellschaftliche Realitäten. Von einem satten Reichtum aus konnte man in diesen Kreisen der umgebenden Welt mit entsprechender Arroganz begegnen. Man hielt sich im Fall des Grafen als Geliebte eine Tänzerin oder als Komtesse den privat unterrichtenden Professor zum Ausgleich des hormonellen

Verlangens und kümmerte sich sehr wenig um das mit einem Fürsten gezeugte Kind. Liebeleien mit Vertreterinnen der Unterschicht waren den noblen Herren ein Sport wie das Pferderennen in der Freudenau. In dieser findet sich der Herrenreiter im zweiten Einakter dieses Abends mit dem Titel „Literatur“, ein Baron ohne Bezug zu Kultur. Ausgerechnet er nimmt sich eine Dame zur Braut, die ihn mit ihrem literarischen Talent ernsthaft bedroht.

Beide Stücke sind sich im Grund sehr ähnlich. Die Unterhaltung gleitet elegant an der Oberfläche, um die darunter vergrabene Malaise nicht ankratzen zu müssen. Aber es wäre nicht Schnitzler, hätte man daran nicht zwei gute Stunden ausnehmend Kurzweil, ganz einfach, weil er so wunderschön formuliert und dabei ausgesprochen witzig ist.

Gerald Szyszkowitz hat die beiden Einakter für die Freie Bühne Wieden inszeniert. Die Bühne zeichnet die dem Regisseur eigene Kargheit aus. Ein paar Korbsesseln im ersten Teil, die mehr als knappe Einrichtung eines Wohnzimmers mit imaginärem Kamin im zweiten, das ist alles, was dem Auge geboten wird. Schnitzlers Texte genügen der Phantasie jedoch vollends. Mehr Ausstattung wäre unter Umständen sogar störend. Nicht gespart

wurde bei den wunderschönen Kostümen (Babsi Langbein). Bis ins Detail entsprechen sie der Zeit, in die das Publikum vom Ensemble entführt wird. Graf Arpad Pazmandy (Johannes Kaiser) jammert gottserbärmlich, weil seine jahrelange Mätresse Lolo (Christine Renhardt) den Fiakerunternehmer Wasner (Roland Weber) ehelichen will. Aber er hat ja seinen Freund Egon, seines Zeichens Fürst Ravenstein (Johannes Terne), der alles auf die leichte Schulter zu nehmen scheint. Aber sein außerehelicher Sohn Philipp (Pierre Gold) ist nichts anderes als das Ergebnis einer etwas mehr als 17 Jahre zurück liegenden Liaison mit Komtesse Mizzi (Anita Kolbert), der Tochter des Grafen. Der einzige, der in diesem Wirrwarr von Verhältnissen über den Dingen zu stehen scheint, ist der als Kammerdiener wirkende Gärtner (Wilhelm Seledec). Der nicht standesgemäße Draufzahler ist Professor Windhofer

(Gerhard Rühmkorf), der in Aussicht auf den Aufstieg einer Komtesse zur Fürstin in die Wüste geschickt wird, nicht ohne Grüße an dessen Frau und Kinder.

„Literatur“ ist eine bitterböse Abrechung mit erstens einer kulturlosen Adelsschicht, zweitens mit weiblichen Ambitionen zur Kunstausübung. Margarete (Michaela Ehrenstein), geschiedene Gattin eines Baumwollspinners, hatte in den Münchener Kunstkreisen ihre Fähigkeit zum Schreiben entdeckt, bis sie sich ebendort in den Baron Clemens (Alfons Noventa) verliebte. Angesichts eines von ihr verfassten Gedichtbändchens befällt diesen die Angst vor dem Talent seiner zukünftigen Gattin. Als sie ihm obendrein eröffnet, auch einen Roman bei ihrem Verleger zur Herausgabe deponiert zu haben, wird daraus seinerseits Panik. Wie ein Retter erscheint der ehemalige

Geliebte Margaretes, Gilbert (Felix Kurmayer). Wie sie hat auch er die gemeinsamen Nächte in einem Roman aufgearbeitet, bis zum intimen Briefverkehr, der sich nun in beiden Büchern findet. Für Arthur Schnitzler gibt es keine Frage, wer den Wettkampf um diese Frau gewinnt; der Bohemien, der ihr ein Leben der Kunst bieten will oder der betuchte Baron, der ihr das Schreiben verbietet. Mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit schwört sie ihrem Können und ihrer Selbständigkeit ab und wirft sich in die Arme der adeligen Banause.