Von verschwiegenen Verhältnissen und schreibenden Frauen

 

 

Arthur Schnitzler führt uns in seinen Stücken und Novellen zurück in eine längst vergangene Zeit, in der es noch Barone, Grafen und Fürsten gegeben hat. Titel, die uns heute an die Gestalten eines Märchens oder bestenfalls an Geschichten der Regenbogenpresse erinnern, waren zur Zeit der Entstehung des Stücks „Komtesse Mizzi oder Der Familientag“ in Wien durchaus gesellschaftliche Realitäten. Von einem satten Reichtum aus konnte man in diesen Kreisen der umgebenden Welt mit entsprechender Arroganz begegnen. Man hielt sich im Fall des Grafen als Geliebte eine Tänzerin oder als Komtesse den privat unterrichtenden Professor zum Ausgleich des hormonellen Verlangens und kümmerte sich sehr wenig um das mit einem Fürsten gezeugte Kind. Liebeleien mit Vertreterinnen der Unterschicht waren den noblen Herren ein Sport wie das Pferderennen in der Freudenau. In dieser findet sich der Herrenreiter im zweiten Einakter dieses Abends mit dem Titel „Literatur“, ein Baron ohne Bezug zu Kultur. Ausgerechnet er nimmt sich eine Dame zur Braut, die ihn mit ihrem literarischen Talent ernsthaft bedroht.

Beide Stücke sind sich im Grund sehr ähnlich. Die Unterhaltung gleitet elegant an der Oberfläche, um die darunter vergrabene Malaise nicht ankratzen zu müssen. Aber es wäre nicht Schnitzler, hätte man daran nicht zwei

gute Stunden ausnehmend Kurzweil, ganz einfach, weil er so wunderschön formuliert und dabei ausgesprochen witzig ist.

 

Gerald Szyszkowitz hat die beiden Einakter für die Freie Bühne Wieden inszeniert. Die Bühne zeichnet die dem Regisseur eigene Kargheit aus. Ein paar Korbsesseln im ersten Teil, die mehr als knappe Einrichtung eines Wohnzimmers mit imaginärem Kamin im zweiten, das ist alles, was dem Auge geboten wird. Schnitzlers Texte genügen der Phantasie jedoch vollends. Mehr Ausstattung wäre unter Umständen sogar störend. Nicht gespart wurde bei den wunderschönen Kostümen (Babsi Langbein). Bis ins Detail entsprechen sie der Zeit, in die das Publikum vom Ensemble entführt wird. Graf Arpad Pazmandy (Johannes Kaiser) jammert gottserbärmlich, weil seine jahrelange Mätresse Lolo (Christine Renhardt) den Fiakerunternehmer Wasner (Roland Weber) ehelichen will. Aber er hat ja seinen Freund Egon, seines Zeichens Fürst Ravenstein (Johannes Terne), der alles auf die leichte Schulter zu nehmen scheint. Aber sein außerehelicher Sohn Philipp (Pierre Gold) ist nichts anderes als das Ergebnis einer etwas mehr als 17 Jahre zurück liegenden Liaison mit Komtesse Mizzi (Anita Kolbert), der Tochter des Grafen. Der einzige, der in diesem Wirrwarr von Verhältnissen über den Dingen zu stehen scheint, ist der als Kammerdiener wirkende Gärtner (Wilhelm Seledec). Der nicht standesgemäße Draufzahler ist Professor Windhofer (Gerhard Rühmkorf), der in Aussicht auf den Aufstieg einer Komtesse zur Fürstin in die Wüste geschickt wird, nicht ohne Grüße an dessen Frau und Kinder.

 

„Literatur“ ist eine bitterböse Abrechung mit erstens einer kulturlosen Adelsschicht, zweitens mit weiblichen Ambitionen zur Kunstausübung. Margarete (Michaela Ehrenstein), geschiedene Gattin eines Baumwollspinners,

hatte in den Münchener Kunstkreisen ihre Fähigkeit zum Schreiben entdeckt, bis sie sich ebendort in den Baron Clemens (Alfons Noventa) verliebte. Angesichts eines von ihr verfassten Gedichtbändchens befällt diesen die Angst vor dem Talent seiner zukünftigen Gattin. Als sie ihm obendrein eröffnet, auch einen Roman bei ihrem Verleger zur Herausgabe deponiert zu haben, wird daraus seinerseits Panik. Wie ein Retter erscheint der ehemalige Geliebte Margaretes, Gilbert (Felix Kurmayer). Wie sie hat auch er die gemeinsamen Nächte in einem Roman aufgearbeitet, bis zum intimen Briefverkehr, der sich nun in beiden Büchern findet. Für Arthur Schnitzler gibt es keine Frage, wer den Wettkampf um diese Frau gewinnt; der Bohemien, der ihr ein Leben der Kunst bieten will oder der betuchte Baron, der ihr das Schreiben verbietet. Mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit schwört sie ihrem Können und ihrer Selbständigkeit ab und wirft sich in die Arme der adeligen Banause.