Die Wiener Dramaturgie - 7. Stück


Gerald Szyszkowitz

 

DIE WIENER DRAMATURGIE

der Freien Bühne Wieden, siebentes Stück, am 13. März 2007

 

Lessing schreibt in seiner ´Hamburgischen Dramaturgie´ am 17. Juli 1767 in seinem 23. Stück über das Drama ´Essex´ von Thomas Corneille: Ist es wirklich so lächerlich, wenn sich eine Frau in gesetztem Alter in einen jungen Mann verliebt ...?

 

Lessing zitiert den Historiker Hume, ich aber hab diese Stelle sofort auch auf die Szene bezogen, in der unsere Hauptfigur Franziska Biedermann sich fragt, ob dieser Herr Kurzweil, in den sie sich gerade verliebt, nicht doch der F a l s c h e ist?

 

Hume schreibt: ´Elisabeth befand sich in äußerster Unruhe und in der grausamsten Ungewissheit. Zuneigung, Stolz und Mitleid stritten unaufhörlich in ihr ... Jetzt war sie fest entschlossen, einfach aufzustehen und wegzugehen, den Augenblick darauf erwachte ihre Zärtlichkeit aber wieder aufs neue, und sie wollte bei Essex bleiben, vielleicht für immer ... Aber seine Halsstarrigkeit, dass er ihr gegenüber einfach nicht ehrlich sein w o l l t e , verhärtete gleich wieder ihr Herz.´

 

So geht es auch Franziska Biedermann. Der, in den sie sich gerade verlieben will, spuckt wirklich z u ´große Töne´.

 

Franziska (trocken): ´W e l c h e Hoffnung ...?´

 

Kurzweil: ´Dass es eine großartige, reife, selbstlose, herzensjunge, kurz: die i d e a l e Frau dennoch gibt auf unserer schäbig gewordenen Erde; dass sie mich einmal nur streife mit dem Saum ihres Kleides ... Im Vorübergehen, sie, die aus der Fülle ihres Gemütes heraus keinen Unterschied erblickt zwischen einem Adonis und einem verbrauchten Diener des Staates, keinen Unterschied zwischen Managerkrankheit und Gelenksrheumatismus, eine großherzige Fee - Sie wissen schon: der Traum des Genies wie des schlichten Schulmannes - : M o z a r t s u n s t e r b l i c h e G e l i e b t e !´

 

Das ist zu viel, denkt Franziska, denn mit einem Mann, der die ´unsterbliche Geliebte Beethovens´ rücksichtslos einfach dem Kollegen Mozart hinbeutelt, will sie nichts zu tun haben, aber ... Weil Erika Mitterer eben eine geborene Dramatikerin ist, verliebt sich Franziska nun erst r e c h t in diesen ´unmöglichen Menschen´...

 

Denn Lessing sagt ja: Ein Dramatiker weiß, jede Handlung muss d e u t l i c h, der Knoten v e r s t ä n d l i c h und die Gesinnung jeder der Personen n a t ü r l i c h sein, vor allem aber müssen sich im Laufe der Handlung alle Gefühle u m d r e h e n . Hat die Hauptfigur eine Abneigung, muss sich die in ihr Gegenteil verkehren. Nur dann wird eine Geschichte ´dramatisch´.

 

In Erika Mitterers Stück ´Wofür halten Sie mich´ verändern sich a l l e Hauptfiguren ´dramatisch´. Nicht nur die vorsichtige Franziska geht immer mehr Risiken ein, auch ihr normalerweise überaus zurückhaltender Ehemann verliebt sich in ein ganz junges Mädchen, ja, sogar ein durch und durch pessimistischer Kriegsversehrter h e i r a t e t am Ende, kurz, jede Figur überrascht uns mit einer unerwarteten Entwicklung. Und Erika Mitterer entspricht auch noch einer a n d e r e n Forderung des Hamburger Dramaturgen. Lessing sagt: In einem vollkommenen Stück muss j e d e Person ein Hauptakteur sein. Bei Erika Mitterer sind a l l e Akteure Hauptakteure.

 

Wegen dieses Eindrucks der distanzierten Gerechtigkeit allen Figuren gegenüber habe ich mich schon manchmal gefragt: Hat sie nicht d o c h eine Figur lieber als alle anderen? Hat sie uns nicht doch in irgendeinem Stück ein Abbild von s i c h selbst hinterlassen ...? Sicher bin ich mir nicht, aber in den vier Stücken, die ich bisher uraufgeführt habe, scheint mir am ehesten in dieser Lehrerin Franziska Biedermann etwas von Erika Mitterer zu stecken. In dieser Frau, die ihr Leben lang s e h r brav und s e h r kontrolliert gewesen ist, die aber jetzt plötzlich doch noch die ganze Welt einreißen will!

 

W a r sie so? So zurückhaltend und doch auch so fordernd? Zärtlich u n d stolz? Mal sprach sie wohl, wie auch die Schauspielerin das versucht, mit einer vollen und lauten Stimme, mal sprach sie aber wohl auch mit mehr Wohlklang als Nachdruck, und dann hatten ihre Bewegungen wohl auch mehr Anmut als Kraft.

 

Ich habe mich einmal im Flugzeug mit ihr unterhalten, weil wir zufällig die Plätze nebeneinander hatten, und da erstaunte mich diese herrische Mischung aus starkem Willen und einer großen Verletzlichkeit, die Unerbitterlichkeit ihrer politischen Urteile und die sanfte Sensibilität, mit der sie über ihren Garten sprach ... An diese Stunden der Obertöne und Untertöne muss ich immer wieder denken, wenn ich Erika Mitterers ´Geschöpf´ Franziska Biedermann bei den Proben zuhöre.