Enzersdorfer Dramaturgie - 8. Stück, 17.  bis 19. Juli 2014

Gerald Szyszkowitz

ENZERSDORFER DRAMATURGIE vom 17. bis 19. Juli 2014

8. Stück: 'UNGEHORSAM? UM GOTTES WILLEN!'

Die Grundidee der Komödie „Ungehorsam? Um Gottes Willen!"

Am Anfang stand die Nachricht, dass es im Herbst 2014 in Österreich ein aufregen­des öffentliches Gespräch über die Zukunft der katholischen Kirche geben wird. Denn der Papst Franziskus will das ... Damit stand der Titel des Stückes fest, das ich sofort darüber schreiben wollte, denn was wird denn da nun aus dem „Aufruf zum Ungehorsam?" Bleibt das päpstliche „Um Gottes Willen!" des vorsichtigen Benedikt aus Bayern? Oder kann sich da nun doch noch etwas ändern? Und wenn ja, was wird sich ändern...? Vor ein paar Tagen wurde in Tirol einem Ehepaar Heizer vom zuständigen Bischof Manfred Scheuer die Exkommunikation mitgeteilt. Weil das Ehepaar Heizer die Messe ohne Priester feiert.

Der Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz, der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn, erklärte sofort, er halte diese Entscheidung des Innsbrucker Bischofs für richtig, und Helmut Schüller, der Vorsitzende der österreichischen Pfarrerinitiative sagte, er halte sie für falsch.

Ja wie, überlegte ich, geht im Lichte dieser unterschiedlichen Meinungen denn die Geschichte des Wiener Bischofs Schönborn und seines ehemaligen Diözesanvikars Schüller, den er bei passender Gelegenheit irgendwohin aufs Land versetzt hat, denn jetzt weiter?

Die alte Geschichte des englischen Herrschers und seines intelligenten Dieners fiel mir ein. Das Stück „Becket oder Die Ehre Gottes" von Jean Anouilh. Ich habe den Dichter im Jahr 1961 in Paris getroffen, aber leider nicht gefragt, wie man seine Geschichte auf die österreichischen Verhältnisse hin adaptieren könnte? Weil ich diese Geschichte damals einfach noch nicht für möglich gehalten habe ... Hier in Wien... Aber jetzt?

Könnten die Mitglieder eines niederösterreichischen Pfarrgemeinderates die Sze­nen nachspielen, überlegte ich, diese Szenen, die mittlerweile fast jeder bei uns kennt? Also diese Szene zum Beispiel, wie der Bischof für alle überraschend den geschäftstüchtigsten Organisator seiner Diözese - gegen den Widerstand seiner nächsten Umgebung - als seine rechte Hand engagiert, diese Szene wie der Neue bald die Geschäfte seines Bischofs im Sinne seines Bischofs besser führt als dieser Bischof selber, und wie der ihn daher nolens volens über Nacht als Landpfarrer in die Provinz schickt... Wo der Verschickte dann merkt, dass die 'Ehre Gottes' nicht nur im Bischofspalais webt und schwebt, sondern gerade auch in einem ärmlichen Pfarrhaus hinter den sieben Bergen, wo die einfachen Leute Tag für Tag mit ihren Sorgen zu ihm kommen.

Das ist doch interessant, dachte ich, was da jetzt passieren wird! In diesem länd­lichen Pfarrhaus stehen nämlich plötzlich eines Morgens ein paar sehr seltsame Worte auf dem Papier: Aufruf zum Ungehorsam!

 
Die Figuren

Ivica

Dieser immer noch gut aussehende, wie alle meinen, auch gut verheiratete Lehrer ist ein ungewöhnlicher Mann. Er scheint zwar noch die Kraft zu haben, freiwil­lig seine Dorfschule zu verlassen, die er ganz persönlich in jahrelanger Mühsal zu einer guten Schule gemacht hat, weil er offenbar gerade jetzt, wo niemand das mehr von ihm erwartet hat, doch noch diese 'große Chance' hat, in die Hauptstadt zu gehen, nach Kalksburg, an die ehemalige Jesuitenschule, an der jetzt allerdings nur noch ein einziger Jesuit unterrichtet, aber diese Chance beschäftigt ihn viel weniger als alle glauben, eigentlich beschäftigt sie ihn gar nicht mehr, denn er ist in keinem Sinne mehr gläubig, weder im Religiösen, noch als Idealist, er glaubt vor allem überhaupt nicht mehr an die charakterliche Entwicklungsfähigkeit der Menschheit, weil er meint, die Menschen zu gut kennen gelernt zu haben, zwar nicht in Paris oder New York, nein, nur hier im Dorf, im Wirtshaus, bei der Feuer­wehr und in seiner Schule, aber da im Dorf sind die Menschen, davon ist er mittler­weile überzeugt, nicht besser oder schlechter, sie sind einfach keinen Deut anders als überall sonst.
Aber gerade deswegen ist er erstaunlich nachsichtig, ja, gütig geworden. Wenn auch abgrundtief skeptisch. Er glaubt nur noch an das, was er angreifen kann. Und weil er weiß, dass alles, was er angreifen kann, trotzdem irgend einmal vergeht, dass die Menschen, wie er bei Schnitzler, seinem Lieblingsautor gelesen hat, von allem Anfang an schon als Sterbende herumgehen, lässt er sich auf nichts mehr ein. Das Einzige, was er täglich übt, ist die Kunst des Resignierens. Ja, auch den Abschied von den Frauen übt er, speziell den von seiner langjährigen Freundin Maria. Aber er verlässt sie nicht, weil er zu einer anderen geht, er geht ins Nichts. Ihn interessiert nur etwas noch: Dieses Geheimnisvolle des Alterns, der Vergäng­lichkeit, des Vergehens... Er war zum Beispiel jahrelang ein interessiertes Mitglied des hiesigen Pfarrgemeinderates, jetzt ist er es nicht mehr.
Martin Gesslbauer hat alle Voraussetzungen für diese Figur. Vor allem die Klugheit und die Gelassenheit. Den Überblick. Er ist ja nicht nur Schauspieler, er ist auch Dramaturg, Bühnenbildner und Regisseur ... Und unser Schloss kennt er auch schon von mehreren szenischen Lesungen, diese anspruchsvolle Rolle des Leh­rers Ivica aber - der ja dann auch noch den Bischof spielt - ist bei den SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI seine erste echte Hauptrolle.

Maria

In keiner Kunstgattung ist der Einklang zwischen Persönlichkeit, Temperament und Neuschöpfung so wichtig wie bei der Schauspielerei.
Ein Dichter kann objektiv sein, ein Maler distanziert, ein Bühnenmensch aber kann nur überzeugen, wenn er oder sie im entscheidenden Moment mit vollem Körper­einsatz und ganzer Seele um die Zuwendung des Publikums kämpft.
Und genau deswegen kämpft auch diese Kindergärtnerin Maria so hartnäckig da­rum, dass ihre Pfarrgemeinderatskollegen mit ihr dieses Theaterstück probieren. Das ist die Essenz ihres Charakters, diese sehnsüchtig-verlangende Unruhe. Diese Kindergärtnerin Maria spürt, dass da jetzt mehr im Dorf auseinander bricht als nur der regelmäßige Sonntagsdienst in der Kirche. Sie spürt, da stimmt schon lange was nicht. In ihrer Kirche. Die sie doch liebt, in der sie aufgewachsen ist, in der sie sich geborgen gefühlt hat, sie spürt, in der Kirche will jetzt jeder was anderes, und deswegen bricht alles auseinander. Schon am Morgen im Kindergarten merkt sie, wenn die Mütter die Kinder bringen, dass keine von denen mehr in die Kirche geht. Es ist ja auch kein Pfarrer mehr da. Also ... Es ist jedenfalls nur sehr selten einer da. Und wenn, dann ist das ein Fremder. Einer aus Polen oder Holland, den keiner versteht.
Und außerdem kommt keine von den Müttern mehr zum Kirchenchor, der ihr, die eine schöne Stimme hat, jahrelang die Familie ersetzt hat. Und besonders trau­rig macht sie, dass es keine Hoch­ämter mehr gibt. Für die großen, schönen Feiertage ist kein Inter­esse und keine Zeit mehr da. Auch die großen biblischen Geschich­ten, mit denen früher alle Fami­lien im Dorf das ganze Jahr über gelebt haben, gibt es nicht mehr. Das ist alles weg. Und darum will die immer einsamer lebende Maria wenigstens eine neue Art von Theater in die Kirche bringen. Mit ihrem neuen Theater will sie die Leute wieder in die Kirche locken. Die einen sollen spielen, und die ändern sollen zuschauen. Und später sollen sie sich abwechseln. Denn davon ist diese idealistische Kindergärtnerin überzeugt: Spielen ist etwas Produktives. Etwas Kreatives und Innovatives. Gerade auch für alle Erwachsenen. Die haben das nur alle verlernt. Und vergessen.
Die Schauspielerin Michaela Ehrenstein macht das, was sie hier spielt, auch privat. Sie organisiert als Direktorin der Freien Bühne Wieden und als Intendan­tin der Sommerspiele Schloss Sitzenberg immer wieder neue Aufführungen.
Hier im Schloss Hunyadi hat sie übrigens auch schon verjähren drei interessante Stücken aufgeführt, die „Thaya-Trilogie", aber die Maria, die sie nun in unserem Stück „Ungehorsam? Um Gottes Willen!" spielt, ist ihre erste Rolle bei unseren neuen SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI.

Hans

Sein wirkliches Gesicht zeigt er selten. Er wirkt verschattet, tragisch und krank. Nur nicht in den kurzen Momenten, in denen er von seinen Bienen spricht, von der Leichtigkeit, mit der seine Bienen sich bewegen, von der Sinnhaftigkeit mit der sie die Blüten besuchen, und von ihrem Fleiß, mit dem sie Tag für Tag den Honig zusammentragen. Aber plötzlich gibt es da doch einen Moment, in dem der alte Mann sich entge­gen aller Erwartung verändert. Und genau das ist für mich das Wunderbare an dieser Figur. Er wehrt sich zwar am Anfang heftig dagegen, mitzuspielen, weil er überhaupt keine Lust hat, mit den anderen in diesem, wie er meint, blöden Theaterstück herumzuhupfen, aber da die Regisseurin Maria ihn mit einem Trick dazu bringt, doch mitzumachen, verliert er seltsamerweise allmählich seine Abwehrhaltung und fängt an, nicht mehr nicht nur dagegen zu sein, nein, er fängt an, sich diesem Spiel hinzugeben, der Situation, den Reaktionen der Partner, der Improvisation, also der Erfindung eines völlig anderen Menschenlebens und, das spürt er, plötzlich hat er auch tatsächlich völlig andere Möglichkeiten, weil er jetzt ein Leben mit allen Überraschungen der Phantasie leben kann, und dieses zweite Leben wird nun mehr und mehr sein eigentliches, er lebt immer bewuss­ter in dieser Rolle des eitlen, lustvoll intriganten Dechanten, und kann plötzlich, ja, dieser alte Mann, den alle bisher nur als sturen Langeweiler gekannt haben, kann plötzlich, wenn er in seiner neuen Rolle nun immer schneller immer Uner­warteteres zusammenphantasiert, die allerzurückhaltendsten Mitmenschen mit fortreißen mit seiner Spielphantasie, so dass er das am Ende auch selber spürt: Er kann nicht nur mit einer improvisierten Handbewegung einen anderen Menschen erschaffen, er und seine Kunstfigur sind beide ständig kreativ, kurz, dieser alte, un­scheinbare Mann wird im Laufe des Stückes zu einem Künstler, der immer wieder, in sich hineinhorchend, Figuren erschafft, die es bisher nicht gegeben hat.

Zilli

Diese junge Frau ist nun einundzwanzig Jahre alt. Ihr Gefühl, jemanden lieben zu wollen, dieses immer stärker werdende Gefühl, dieses übermächtige, hat sich bis­lang vor allem in kindlicher Demut und schwesterlicher Aufopferung für ihren al­ten Pfarrer verschwendet, dessen 'Köchin' sie offiziell gewesen ist, aber nun ist er tot, und kein Neuer ist in Sicht, und sie, die bis dahin schon recht allein gewesen ist in dem großen Pfarrhaus, ist nun ganz allein. Gut, ihr wachsendes Einsamkeits­gefühl flüchtet sich in allerlei heftige Freundschaften zu den Resten des Pfarrkir­chenrats - der sich nur leider auch gerade auflöst -, aber das genügt ihr nicht, das erzeugt nur ein noch unruhigeres Potential, und so ist es nicht verwunderlich, dass der „Aufruf zum Ungehorsam" ihr von Tag zu Tag gelegener kommt.

Gespielt wird dieses naive Landmädchen von der jungen Johanna Machart, die vor drei Wochen ihre Abschlussprüfung in der Schauspielakademie Elfriede Ott abge­legt hat. Trotzdem spielt sie nicht zum ersten Mal in Maria Enzersdorf Theater, sie war schon vor zwei Jahren in „Umsonst" vor der Burg Liechtenstein dabei. Und auch die kirchliche Theaterarbeit ist ihr nicht fremd, sie war in einer Aufführung der katholischen Jungschar in Beitenfurt ein 'frecher Hirte' im Weihnachtskrip­penspiel.

Arthur

Felix Kurmayer ist die ideale Besetzung für diesen Arthur, der ohne sich groß zu verändern, auch ein kluger 'Herr aus Rom' oder ein 'jovialer Kardinal' sein kann. Ein schneller Blick ist genug, eine anmutige Geste, schon bewegt sich dieser Hin-terbrühler wie ein Italiener, denn er hat von vornherein etwas liebenswürdig Süd­liches, etwas geradezu kultiviert Byzantinisches. Schon seine Begrüßung hat ja immer etwas von einer herzlichen, südlichen Wärme, aber er will nicht nur geben, er will schon auch Wärme zurückbekommen, Wärme von Menschen mit Gefühlen, von Frauen, Kolleginnen, Kameraden, Freunden, Gefährten und auch von seinen Regisseuren, Kälte würde ihn starr machen, Langeweile töten.
Wenn dieser Arthur etwas nicht mag, so ist es Faulheit. Er ist trotz aller Liebenswür­digkeit ein sehr bürgerlicher Mensch, ja, extremer noch, er hat den trockensten Beruf, den es gibt: Er ist Notar. Ein allerdings schon berufsbedingt an allem Politi­schen interessierter Notar. Deswegen hat er auch die Bewegung 'Wir sind Kirche' mitbegründet, weil er nichts so liebt wie Diskussionen, hochgeistige, also beson­ders die, für die es keine schnellen Lösungen gibt. Er liebt vor allem Diskussionen, die den ganzen Menschen fordern, sozusagen die ganze Zeit und alle Weltmeere. Ja, seine Herzlichkeit ist herzaufschließend, weil er einer ist, der, obwohl er weiß Gott schon viel Negatives erfahren hat, immer noch gerne gibt - nicht nur Kau­gummis und gute Ratschläge -, er ist einfach einer, der jung geblieben ist durch seine Hingabe an die intellektuelle Lust, anderen etwas zu erklären und, wenn das nicht hilft, hilft doch vielleicht, dass er ihnen das Problem vorspielt.