Enzersdorfer Dramaturgie - 2. Stück, 10. März 2014

Gerald Szyszkowitz

ENZERSDORFER DRAMATURGIE vom 10. März 2014
 
2. Stück: LIEBELEI

DAS VORBILD

Am 22. April 1767 hat Gotthold Ephraim Lessing seine 'Hamburgische Dramaturgie' angekündigt, und am 1. Mai 1767 ist das 1. Stück' erschienen, in dem er schrieb: „An Fleiß und Kosten wird sicherlich nicht gespart werden, ob es an Geschmack und Einsicht fehlen dürfte, muss die Zeit lehren. Das Publikum komme und sehe und höre und prüfe und richte, seine Stimme soll nie geringschätzig vernommen werden. Nur dass sich nicht jeder Kritikaster für das Publikum halte, und derjenige, dessen Erwartungen getäuscht werden, auch ein wenig mit sich selbst zu Rate gehe, von welcher Art seine Erwartungen gewesen. Nicht jeder Liebhaber ist ein Kenner; nicht jeder, der die Schönheiten eines Stücks, das richtige Spiel eines Akteurs empfindet, kann darum auch den Wert aller anderen schätzen. Der Stufen sind viele, die eine werdende Bühne bis zum Gipfel der Vollkommenheit zu durchsteigen hat, aber..." Aber, meint Lessing, wir Theaterleute müssen das Unmögliche eben immer wieder versuchen. Und so sehen wir das auch. Unsere Szenische Lesung des Stückes 'Der Oberzeremonienmeister Hunyadi oder Diese unangenehme Geschichte mit der Vetsera' war die erste Produktion unserer neuen Unternehmung SOMMER SPIELE SCHLOSS HUNYADI, und mein Text im Programmheft vom 30. Jänner 2014 war das 1. Stück der neuen 'Enzersdorfer Dramaturgie', dieser Text ist das 2. Stück.

Warum Schnitzler?

Arthur Schnitzler ist Arzt und Autor. Er ist der kühlste und skeptischste Diagnostiker der Wienerischen Seelenzustände um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Also für die Jahrzehnte vor meiner Geburt. Er hätte mein Großvater sein können, und um es vorweg zu sagen: Ich liebe alle seine Stücke. Durch seine Werke verstehe ich die Generation vor mir am besten.
Das arrogant Verwöhnte zum Beispiel, mit dem die Menschen des Fin Siécle in den ersten Weltkrieg gestolpert sind, die müde Frivolität der Zwanzigerjahre, in der die Großstadtmenschen den erotischen und intellektuellen Reiz gesucht haben - zwischen Frau und Mann und extrem links und extrem rechts -, und dieses speziell wienerisch Verspielt-Melancholische, das sich in der ehemaligen Kaiserstadt in der Folge des Zweiten Weltkrieges fast verloren hat. Als ich in den frühen Fünfzigerjahren nach Wien kam, gab es das habsburgische Wien nicht mehr, es gab die 'Vier im Jeep', und die meisten Menschen am Graben trugen Tiroler Lodenjacken oder gewendete Soldatenmäntel. Wien war eine Provinzstadt geworden. Wir Studenten sehnten uns nach Paris, lasen Camus und Sartre, aber eben auch die Schnitzlerstücke.
Denn die Wiener bei Arthur Schnitzler erklärten uns, was Wien einmal gewesen ist. Dass viele Wienerinnen und Wiener sich früher einmal dank ihrer Wohlsituiertheit ihre seelischen Komplikationen locker leisten konnten, diese hochinteressanten Charaktere in der Abenddämmerung der alten Donaumonarchie und im Morgenrot der jungen Republik ... Diese Generation hat kein anderer Autor mit so viel impressionistischer Sensibilität und Musikalität beschrieben wie er.
Arthur Schnitzler hatte dank seiner Herkunft aus einer Professoren­familie teil an der geistigen und ästhetischen Kultur dieser Großstadt, die Wien einmal gewesen ist, und als assimilierter Jude doch auch genügend Distanz, um sie gelassen und kritisch zu betrachten und darstellen zu können. Er hatte gesehen, was faul und morsch geworden war, aber er beschrieb das nie mit einem unangenehmen, pädagogischen Pathos, sondern, wie Hofmannsthal das nannte in seinem Prolog zu Schnitzlers Anatol, dies ist der „bösen Dinge hübsche Formel".
Ich denke, das Gesamtwerk von Arthur Schnitzler Jahr für Jahr bei den SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI vorzustellen, ist eine sehr schöne Aufgabe.


GROSSE SZENE FÜR JOHANNA THIMIG

Mich interessiert bei jedem Text, mit dem ich mich wegen einer Aufführung beschäftige, vor allem die Frage: Wo ist dieser Text entstanden? Wann, wie und warum?
Arthur Schnitzler lebte von 1862 bis 1931. Er hat den Einakter „Die große Szene" als einen Teil seines Drei-Einakter-Zyklus „Komödie der Worte" im Jahr 1916 am Burgtheater uraufführen lassen. Das Burgtheater teilte sich die Uraufführung mit dem Hoftheater in Darmstadt und dem neuen Theater in Frankfurt. Die Hauptrolle spielte Harry Waiden, der spätere Filmschauspieler. Die Reaktionen in Wien waren gut, Berta Zuckerkandl, Felix Salten, Max Kalbeck und Ludwig Bauer schrieben Positives in den Zeitungen, in Deutschland allerdings bezeichnete man ihn als 'altmodisch und gestrig'.
Im Jahr 1916 tobte der erste Weltkrieg, Schnitzler ist 54 Jahre alt, wohnt mit seiner Frau in der Villa in der Sternwartestrasse 71, und mit dieser „Großen Szene" ist ihm mitten im Krieg ein beim Publikum sehr erfolgreicher Einakter gelungen. Dass der zusätzlich auch noch so heiter ist, wundert uns heute, denn diese Kriegsjahre waren für Arthur Schnitzler eine schwierige Zeit. Er selbst musste zwar nicht mehr an die Front, aber sein Freund Richard Rosenbaum zum Beispiel, der Sekretär des Burgtheaters, wird vom Direktor Hugo Thimig entlassen und muss in den Krieg, die von ihm verehrte Stephi Bachrach - seine Zuneigung zu ihr durfte er nie ausleben -, nimmt sich ein halbes Jahr später das Leben, auch noch ausgerechnet an seinem Geburtstag, und seine Frau, mittlerweile 36 Jahre alt, mit der er sich in einer 15-jährigen Ehe auseinandergelebt hat, verlässt ihn ein paar Monate später mit ihrem Musiklehrer.
Vieles davon spiegelt sich in dem Text. Der Hauptdarsteller, der Schauspieler Herbot hält das Leben nur aus, weil er eben ein Schau­spieler ist. Er kann nur noch so virtuos Theater spielen, weil er seine eigenen Lügen glaubt. Er kann nicht nur jede Sekunde ein anderer sein, er ist - und das ist das, was seine Frau so erschüttert - eigentlich überhaupt nie mehr er selber, er ist nur dann noch ein Mensch, wenn er expressis verbis einen spielt.
Er betrügt seine Frau, verspricht ihr allerdings in derselben Minute, in der sie das bemerkt, nie mehr zu lügen, aber da in diesem Moment eine junge Person in seine Garderobe kommt, die Rechenschaft von ihm will, beginnt schon wieder eine 'neue Komödie'! Seine Frau, die diese neue Komödie vom Nebenzimmer aus mitgehört hat, spricht ihn darauf an, aber er erinnert sich schon nur mehr sehr ungefähr: „Ja, da waren Momente vorhin, die mich so mitgerissen haben, dass nicht viel gefehlt hat, und ich hätte die ganze Geschichte selber geglaubt! Aber das eben ist die Macht des Genies!"

Die Bearbeitung

Wenn ich die Inszenierung mit einem Mann in der Hauptrolle gemacht hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, auch nur ein Wort des Schnitzler-Textes zu verändern. Ich finde ihn perfekt. In unserem Fall aber war es etwas anders: Die Schauspielerin Johanna Thimig bat mich nach einer Vorstellung in der 'Freien Bühne Wieden', sie doch wieder einmal mit einer interessanten Rolle zu besetzen. Mir fiel aber nicht sofort eine passende Rolle für sie ein. Leichtfertig sagte ich nur: „Eine gute Rolle, die dir passen würde, ist der Schauspieler Herbort aus der 'Großen Szene' von Schnitzler. Aber der ist ein Mann!"
„Dann schreib ihn für mich um. Das kannst du doch so gut!" Ich war mir da nicht so sicher, ging aber zu Hause doch zu meinem Bücherschrank, suchte mir in meiner alten, achtbändigen S. Fischer-Ausgabe von 1918 die „Komödie der Worte" heraus, denn ich wusste noch, einer der unter diesem Titel zusammengefassten Einakter war eben diese „Große Szene", begann zu lesen und mir die Thimig dabei vorzustellen, und plötzlich hatte ich ihren unverwechselbaren Burgtheaterton im Ohr, kurz, ich setzte mich an den Computer und schrieb die Umarbeitung in einem Zug in die Maschine. Und nicht nur der Starschauspieler Hebort wechselte das Geschlecht, sondern es wurde auch aus seiner Frau nun der Ehemann der Thimig, aus dem Direktor wurde eine Frau Direktor -heutzutage gibt es mehr und mehr Direktorinnen, siehe die Frau Theaterdirektor an der 'Freien Bühne Wieden', bei den 'Vereinigten Bühnen Graz' oder demnächst am 'Volkstheater' - aus dem Bräutigam wurde eine Braut und aus dem 'Fräulein Flamm' ein Herr Direktor Flamm aus Moskau.

Die Besetzung

Johanna Thimig als 'die große Schauspielerin'

Die Bühnenfigur Johanna Thimig hat selbstverständlich viel von der Schauspielerin Johanna Thimig. Ich habe mich bemüht, bei der Bearbeitung des Schnitzler-Einakters eine gewisse Deckung der Charaktere zu erreichen. Nicht nur im rein Biographischen.  Die Bühnenfigur Johanna Thimig sagt - auf den Hinweis ihres Ehemannes, mit ihrem Namen hätte sie es doch sicherlich am Anfang relativ einfach gehabt, in Wien ein Engagement zu bekommen -, na, ganz so einfach sei das nicht gewesen!
„Mein Großvater Hugo Thimig war zwar Burgtheaterdirektor, meine Tante Helene Thimig und mein Onkel Max Reinhardt waren Hollywoodstars, mein Vater Hermann Thimig war der beliebteste Schauspieler an der Burg und meine Mutter Vilma Degischer die bekannteste und umschwärmteste Wiener Salondame, aber ich bin, nur als Beispiel, ganz am Anfang einmal bei einer Probe im Theater in der Josefstadt ein paar Minuten zu spät gekommen, und schon hat mir meine Mutter vor dem ganze Ensemble eine solche Ohrfeige gegeben, dass ich auf dem Bühnenboden bis an die Rampe vorgerutscht bin!"
In meine 'große Szene' passte diese Geschichte sehr gut hinein... Und eine andere kleine Wahrheit ist: Die 'große Schauspielerin', also meine Bühnenfigur ist nicht mehr die Jüngste. Sie vergesse schon manchmal ihren Text auf der Bühne. Wird von ihr gesagt. Ohne dass das Publikum das allerdings bemerke. Das Publikum, das die Thimig sehr verehre, halte nämlich diese Hänger für neue Nuancen der Darstellung...
Da mir einmal die reale Thimig bei einer Leseprobe sagte, das sei ihr unlängst auch schon mal passiert, dachte ich, das passt doch auch gut in unseren neuen Text, kurz, diese Rolle der 'großen Schauspielerin' ist in unserer Aufführung ziemlich gut besetzt.
Ob sie im Umgang mit ihren Kollegen privat auch so kritisch ist wie ihre Rolle ihr das vorschreibt, kann ich nicht sagen. Dazu kenne ich sie zu wenig. Im Stück sagt ihr Ehemann jedenfalls von ihr: „Was sind denn alle anderen Menschen für die Thimig? Für sie, die gewohnt ist, immer und überall die Hauptrolle zu spielen? Wahrscheinlich sind alle anderen nur Episodenfiguren! Leute, die verständlicherweise nie einen Auftrittsapplaus haben! Und die am Ende des Stückes still und klaglos hinter den Kulissen wegsterben, ohne dass ihnen auch nur irgendwer dabei zuschaut... An solchen Leuten begeht man doch kein Unrecht, wenn man sie übersieht."
In dem Punkt bin ich mir, wie gesagt, nicht so ganz sicher, aber ein gewisses Mittelpunktschauspielerinnen-Bewusstsein bemerke ich doch manchmal bei ihr, wenn ich auch sicher bin, ganz so abwertend wie die Bühnenfigur redet die Thimig privat nie über ihre Kollegen.
Ich habe überlegt, diesen Satz zu streichen, aber um den Charakter der 'großen Schauspielerin' kritisch zu zeigen, brauchen wir diesen Schnitzler-Text natürlich schon, aber bei aller Ähnlichkeit wissen wir natürlich, der Charakter der 'Rolle der Thimig' letztlich doch ein anderer ist als dass der Charakter unserer Johanna. Andere Sätze der Bühnenfigur könnte sie allerdings auch privat sehr wohl sagen. Zum Beispiel: „Mir ist noch jedes dieser modernen Stücke beim Lesen wie der absolute Irrsinn erschienen." Oder: „Weißt du, was ich manchmal denke? Diese ganze dramatische Kunst ist nur eine Erfindung der Theaterkassiere."
Jedenfalls, als ihr die Mutter damals an ihrem ersten Probentag in der Josefstadt gleich vor dem gesamten Ensemble eine Ohrfeige gegeben hat, war sie gerade aus dem Reinhardtseminar gekommen. Das immerhin ihr berühmter Onkel Max Reinhardt gegründet hatte. Privilegierte Herkunft und harte Gegenwart knallten also in genau diesem Moment gleichnishaft aufeinander.
Und von diesem Moment an mied die Thimig jahrzehntelang alle Wiener Theater. Sie ging nach Deutschland ins Engagement. Nach Bochum und nach Nürnberg, ans Staatstheater Stuttgart und ans Residenztheater in München. Später dann auch mit ihrem Mann, dem Schauspieler Karl Heinz Martell, monatelang auf Tournee durch die Schweiz und ganz Deutschland, von Zürich bis Berlin, und spielte die größten und bekanntesten Rollen der Weltliteratur. Erst nach dem Tod von Karl Heinz Martell kehrte sie nach Wien zurück, bekam überraschenderweise sofort das Angebot, in der 'Freien Bühne Wieden' bei literarischen Uraufführungen mitzumachen, bei den Stücken 'Ein Bogen Seidenpapier' und 'Verdunkelung' von Erika Mitterer, in 'Schmiergeld für die Waffenlobby' von Volkmar Parschalk, in der 'Komödie der Gier' von Heinz R. Unger, und auch in meinem Stück 'Tschechow' spielte sie eine große Rolle, aber am erfolgreichsten war sie als Königin in dem Stück 'Königin Mutter' von Manlio Santanelli. In diesem Stück, in dem zum ersten Mal Johannes Terne ihr Partner war. Man kann also ohne Übertreibung sagen, das unser Bühnen-Ehepaar Thimig-Terne sich bei Proben in der 'Freien Bühne Wieden' unter der Regie von Elisabeth Melichar-Augustin kennen gelernt hat.

Johannes Teme als 'der Ehemann der großen Schauspielerin'

Im Stück ist er der Dramaturg des Theaters. Er versteht was von unaufgeführten Theaterstücken. Er sucht die aus, die seine Frau spielen soll. Man merkt bei jedem Satz, dass er seine Frau liebt. Und zwar unter allen Umständen liebt er sie. Sie liebt ihn nicht unter allen Umständen. Oder sagen wir besser, nicht immer nur ihn. Obwohl er ihr sogar das Trinken abgewöhnt hat, nicht nur ihre geliebte 'Schmiererei' auf der Bühne.
Eigenartigerweise würde er ihr nach all den Jahren wohl auch eine kleine Untreue nachsehen, wütend wird er nur, wenn sie bei ihren Abenteuern nicht nur ihn verletzt, sondern auch noch andere Menschen, beziehungsweise wenn er sieht, dass sie jemandem kühl ins Gesicht lügt. Wie am Ende unseres Einakters ihrer jungen Besucherin. Der Braut ihres kurzzeitigen Grazer Liebhabers. Da dreht der Ehemann der 'großen Schauspielerin' durch. Das findet er nun doch zu unmoralisch. Da wäre er wohl wirklich fast verschwunden aus ihrem gemeinsamen Leben, wenn sie eben nicht doch eine so hundsbegabte Komödiantin wäre, dieses Bühnengenie mit den bewundernswerten Burgtheatertönen.
Johannes Terne selber war übrigens auch zehn Jahre lang ein festes Ensemblemitglied des Burgtheaters. Er hat mehr als vierzig Rollen an der Burg gespielt. Unter der Regie von Andrea Breth, Martin Kusej, Dimiter Gottschew und Frank Castorf, aber dann kamen die Fernseh­jahre. Wir haben ihn in mehreren 'Tatorten' gesehen, in mehreren 'Polizeiruf'- Folgen und in einigen 'Kommissar-Rex'-Folgen, aber im letzten Jahr wurde er in Deutschland und in Österreich vor allem durch seine sympathische Rolle in die Fernsehserie 'Rote Rosen' bekannt. Johannes Terne ist geborener Dresdner, besuchte die Theaterhoch­schule in Leipzig, spielte erst in Chemnitz und Bonn, dann in Berlin an der Volksbühne und an der Schaubühne, kam im Jahr 1990 nach Wien, und tritt nun, im Jahr 2014, zum ersten Mal in Maria Enzersdorf auf.

Anita Kolbert als 'die Theaterdirektorin'

Im Schnitzler-Einakter ist der Theaterdirektor ein eleganter Mann, der, wenn man den Text genau liest, einen kleinen Flirt hat mit der schicken Frau des 'großen Schauspielers'. Da in meiner Fassung aber aus dem Schauspieler eine Schauspielerin geworden ist, musste folglich auch aus dem Theaterdirektor eine Theaterdirektorin werden, was mir sehr recht war, denn so konnte ich Anita Kolbert in unser Ensemble holen.
Anita Kolbert hat schon einmal in Maria Enzersdorf Theater gespielt. Vor über zehn Jahren, als wir im Maria-Theresien-Saal des Schlosses Hunyadi als 'Freie Bühne Wieden' mit meiner 'Thaya-Trilogie' gastiert haben. Anita Kolbert hat damals eine intelligente, polnische Gräfin gespielt, die sehr bewusst ihre erotische Wirkung ausgespielt hat. In unserer Schnitzler-Bearbeitung spielt sie jetzt wieder eine intelligente Frau, eben unsere Theaterdirektorin, und setzt wieder ihre erotische Wirkung ein, diesmal aber eher verhalten. Nur durch die Blume macht sie dem Ehemann ihrer Starschauspielerin ein erotisches Angebot, das man als Zuschauer fast überhören könnte, würde die Schauspielerin uns nicht mit ein paar zusätzlichen Tonschwingungen darauf aufmerksam machen. Kurz, Anita Kolbert spielt die Frau Theaterdirektor nicht nur als 'gehobene Berufsnudel', sondern auch als Privatperson, als eine allen eventuellen Abenteuern keineswegs abgeneigte 'Frau in den besten Jahren'.
Erlernt hat sie diese Kunst im Dramatischen Zentrum Wien und im Actor's Studio, ausgeübt hat sie ihren Beruf dann im Theater in der Drachengasse, im Forum Schwechat, in der 'Freien Bühne Wieden', in den Theatern von St. Pölten und in Stuttgart, aber bekannt geworden ist sie vor allem durch ihre Hauptrollen in den Filmen 'Nachtmeerfahrt' und 'Wahre Liebe', den Filmen ihrer Schwester Kitty Kino.

Christina Jägersberger als 'eine Besucherin'

Von dieser Besucherin wissen wir, dass sie aus Graz einzig und allein deswegen nach Wien in die Vorstellung der 'großen Schauspielerin' gekommen ist, um herauszufinden, ob sie den jungen Mann, der sie begleitet, heiraten kann oder nicht. Sie kennt ihn zwar aus dem Grazer Golf-Club, aber sie weiß nicht, ob sie ihm genügend vertrauen kann. Er sagt zwar, er hat mit dieser 'berühmten Schauspielerin' kein Verhältnis gehabt, sie glaubt ihm das aber nicht so recht. Und um sicher zu gehen, will sie nun von der 'berühmten Schauspielerin' persönlich die Wahrheit erfahren. Sie ist eine junge, aber doch schon emanzipierte Frau und will sich nichts vormachen lassen. Sie findet sich selber prima, und auch prima, wie sie ihre Recherche anlegt, umso tragischer ist die Komödie, die unsere 'berühmte Schauspielerin' mit ihr spielt. Betrogen hat nicht nur ihr Bräutigam sie, neuerlich betrogen verlässt sie jetzt auch die Garderobe der 'großen Schauspielerin'.
Sie wird den jungen Mann heiraten, der im Zuschauerraum auf sie wartet, obwohl wir alle jetzt wissen, dass dieser junge Mann sie schon vor der Hochzeit ziemlich mies betrogen hat.
Christina Jägersberger bringt sowohl die für diese schwierige Rolle notwendige Naivität mit, wie auch die ersten Ansätze von speziell weiblichem Instinkt, die diese Rolle braucht.
Sie hat ihre Ausbildung an der Schauspielakademie Ott im Jahr 2011 abgeschlossen, studierte danach Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Theater-, Film- und Medienwissenschaft,spielte unter anderem in der 'Freien Bühne Wieden', und arbeitet momentan am Burgtheater an der Produktion 'Die letzten Zeugen' mit, die in diesem Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden ist.

Gerald Szyszkowitz als 'ein Herr'.

Dieser weißhaarige, ältere Herr war bis vor wenigen Wochen Direktor einer österreichischen Bank in Moskau, hat dort aber gekündigt, weil er sich entschlossen hat, bei der berühmten Schauspielerin Johanna Thimig Unterricht zu nehmen, um das richtige Burgtheaterdeutsch von ihr zu erlernen, damit er möglichst bald selber auf die Bretter kommen kann, die zumindest für ihn 'die Welt bedeuten', denn dieser weißhaarige, ältere Herr hat in seiner Studentenzeit noch Werner Krauss und Oskar Werner im Burgtheater gesehen, und genau diese beiden sind bis heute seine Vorbilder, und genau das, was diese beiden gewesen sind, will er nun am Ende seines Lebens werden: ein Schauspieler am Burgtheater.
Gerald Szyszkowitz steht zwar schon seit über sechzig Jahren, also seit dem Jahr 1948 auf verschiedenen Bühnen, war 25 Jahre Fernsehspielchef des ORF und zehn Jahre Direktor der 'Freien Bühne Wieden', saß jahrelang im Aufsichtsrat des Burgtheaters, aber die Bühne des Burgtheaters hat er nie betreten.
Für die Rolle 'ein Herr' in dem von ihm bearbeiteten Schnitzter-Einakter 'Große Szene' bringt er somit einiges mit: Auch er ist mitt­lerweile ein weißhaariger, älterer Herr, auch er war gerade noch Direktor, und auch er hat in seiner Jugend Werner Krauss und Oskar Werner in ihren bedeutendsten Rollen auf der Burgtheaterbühne gesehen ... Vor allem aber kennen beide, also der 'Herr' im Stück und der, der ihn spielt, 'die Thimig' auch privat ziemlich gut.

Der Musiker Franz Luttenberger

Franz Luttenberger wurde 1942 in Wien geboren, ist Maschinenbauingenieur und spielt seit  1985 in der Wiener Barrelhouse Jazz Band Trompete und seit  1960 in der Original Storyville Jazzband Klavier. Er ist Ehrenbürger von New Orleans.


WEIHNACHTSEINKÄUFE

Den Anatol-Zyklus hat Arthur Schnitzler am Anfang der Neunziger­jahre geschrieben. Er war damals ein dreißigjähriger Junggeselle. Es ist eine lose Folge von Einaktern, in der immer der Junggeselle Anatol die Hauptrolle spielt.
Der erste Anatol-Einakter „Das Abenteuer seines Lebens" war übrigens das erste Stück, das von Arthur Schnitzler auch aufgeführt wurde. Weil man in einer Wiener Schauspielschule dachte, der stadtbekannte Arzt Johann Schnitzler habe dieses Stück geschrieben, führte man es mit Schwung auf, war dann aber sehr enttäuscht, als nur der Sohn in der Vorstellung auftauchte.
Die Aufführung war kein großer Erfolg, trotzdem arbeitete Schnitzler an seiner Anatol-ldee weiter und ließ im folgenden Jahr sieben von seinen zehn Anatol-Einaktern in Berlin drucken. Dafür schrieb Hugo von Hofmannsthal ihm seinen berühmten 'Prolog': 'Also spielen wir Theater, spielen unsre eignen Stücke, frühgereift und zart und traurig, die Komödie unsrer Seele ...'
Seine beiden für mich schönsten Anatol - Einakter hat Arthur Schnitzler übrigens innerhalb von drei Tagen im 'Cafe Griensteidl' geschrieben: 'Abschiedssouper' und 'Weihnachtseinkäufe'. Die 'Frankfurter Zeitung' war von den 'Weihnachtseinkäufen' so begeistert, dass sie diesen Text noch im gleichen Jahr in ihrer Weihnachtsnummer veröffentlicht hat.

Anita Kolbert als 'Gabriele'

Zum Unterschied von der recht lockeren Theaterdirektorin spielt die Kolbert hier eine ganz andere Figur, eine Dame der Gesellschaft, der man keinerlei erotische Abenteuer nachsagen kann. Obwohl sie vielleicht nicht ungern eines mit diesem Anatol hätte. Aber sie hat, wie sie  selber sagt, eben leider nicht den nötigen Mut dazu ... Sie trifft ihn auf einem Weihnachtsmarkt wo sie Geschenke für ihre Kinder aussucht. Schnitzler schreibt: Am heiligen Abend um sechs Uhr, bei leichtem Schneefall, in den Straßen von Wien...
Die Größe dieser Gabriele ist: Sie überträgt ihre Zuneigung für Anatol auf seine kleine Freundin, von der er ihr erzählt und, obwohl sie anfangs noch ziemlich eifersüchtig ist, schickt sie ihr schließlich an diesem etwas sentimentalen Weihnachtsabend doch einen Strauß Blumen ... Und sagt ihm, sie wäre sehr gern dabei in dem Moment, wenn Anatol seinem süßen Mädel diese Blumen wird geben können. Er soll sagen, die Blumen kommen von einer Dame, die den Mut nicht gehabt hat...
Anatol sagt in diesem Einakter über sich, er sei der Typ des 'leicht­sinnigen Melancholikers', und sie, Gabriele, sei für ihn vom Typ her 'die Mondäne'. Im Gegensatz eben zu seiner Freundin in der Vorstadt. Interessant ist, wie in diesem Gespräch zwischen Anatol und Gabriele seine 'Freundin in der Vorstadt', ohne dass sie auftritt, in der verklärenden Poesie seiner Schilderung für alle im Zuschauerraum lebendig wird als der Urtyp des 'süßen Mädels', den Schnitzler in der 'Liebelei' als Christine Weyring dann endlich wirklich auftreten lässt.

Johannes Terne als 'Anatol'

Zum Unterschied von dem seriösen Ehemann der 'großen Schauspielerin', den Terne in der 'Großen Szene' spielt, der gleich wieder an seine dramaturgische Arbeit gehen würde, wenn er nicht grad so eifersüchtig wäre, erspielt sich Terne mit dem 'Anatol' einen ganz anderen Typus Mann. Eben den 'leichtsinnigen Melancholiker'. Einen gut angezogenen, wohl frisierten Lebemann ohne Beruf, der nur eine Ambition hat, nämlich sich mit den Frauen, die ihn interessieren, und mit seinem eigenen Innenleben zu beschäftigen. Er hat keinerlei Verpflichtungen, aber Geld genug, um sich sein angenehmes Nichtstun lasten zu können.
Warum sich immer wieder alle möglichen Frauen ausgerechnet für diesen Typ interessieren? Weil er Charme hat. Wie eben auch der aus Dresden zugereiste Wiener Johannes Terne.